Bild vom Verwaltungsgebäude der Handwerkskammer Chemnitz
© Schmidtfoto-Chemnitz

"Es reicht eben nicht, nur schöne Überschriften zu erschaffen."

Zum Jahresende blickt Handwerkskammerpräsident Frank Wagner in einem Interview auf die aktuelle politische Lage:

Herr Wagner, das Jahr neigt sich dem Ende und der Winter hat zumindest in den zweiten Novemberhälfte schon mal gezeigt, was er kann und einem sonnigen Herbst eine Abfuhr erteilt. Und dabei hatten Sie beziehungsweise das gesamte Handwerk doch so auf den Herbst gehofft?

Auf den von der Bundesregierung ausgerufenen sogenannten „Herbst der Reformen“ hat eigentlich die gesamte deutsche Wirtschaft gewartet. Er war ja lange genug angekündigt – meiner Erinnerung noch Mitten im Hochsommer. Eigentlich ein schöner Ausblick für die Betriebe in Richtung Jahresende. Jetzt ist der Herbst vorüber und passiert ist nicht viel.

Es gab doch erste Reformbeschlüsse: Bürokratieabbau, Industriestrompreis, steuerliche Entlastungen.

Aber das ist doch kein „Herbst der Reformen“, zumal vieles davon nur halbgar angegangen wird oder weite Teile des Handwerks ganz außen vor bleiben. Wie oft haben die Handwerkerinnen und Handwerker gesagt, dass auch sie von hohen Strompreisen betroffen sind? Und jetzt haben sie weiterhin nicht viel davon. Beim Bürokratieabbau tagte zwar ein sogenanntes Entlastungskabinett und hat erste Beschlüsse gefasst. Aber einen neuen Sitzungstermin für das Gremium gibt es nicht. Dabei wäre das ein Signal, dass in der Regierungskoalition das Thema wirklich ernst genommen und vor allem weitergeführt wird. Bei den Sozialversicherungen hört man noch weniger, obwohl hier auch einiges geändert werden müsste – allein schon wenn man den Blick auf die Sozialversicherungsquote wirft.

Es reicht eben nicht, nur schöne Überschriften zu erschaffen. Ich erwarte gegenwärtig auch nicht, dass aus dem Herbst ein Winter der Reformen wird.

Warum nicht?

Es fehlen innerhalb der Bundesregierung schlicht der Mut und vor allem die Einigkeit zu solchen Schritten. Ich denke dabei nur an das Thema Wehrpflicht oder die Rentenreform, bei der es ja nicht nur zwischen CDU/CSU und SPD Streit gibt, sondern als Folge davon auch noch innerhalb der CDU. Wie will man da auf einen gemeinsamen Nenner für tiefgreifende und zwingend notwendige Reform kommen, die die Wirtschaft von jenem „Herbst“ eigentlich erwarten.

Und nun?

Es muss die Einsicht reifen, dass was passieren muss und die bisherigen Maßnahmen bei weitem nicht ausreichen. Dass die Wirtschaft, egal ob Handwerk, Industrie oder Handel, solche Reformen brauchen, sagen sie fast täglich. Wahrscheinlich hilft hier nur stetiges Nachsetzen und vielleicht auch immer lauter werden. Wir können nur an die Entscheider appellieren, wirklich den Mut – auch für unbeliebte Maßnahmen – zu haben.

Vielleicht fällt der „Herbst der Reformen“ auch aus beziehungsweise kommt nicht als großes Paket, weil schlicht das Geld fehlt.

Das darf und kann kein Argument sein. Zum einen dienen Reformen ja auch zum Einsparen. Zum anderen werden durch Wirtschaftswachstum – und das muss das Ziel der Reformen sein – auch mehr Steuereinnahmen generiert. Es gibt so viele reformbedürftige Bereiche, da lässt sich viel auch finanziell ausgleichen.

Dass Reformen auch schmerzhaft sind und jeder auch seinen Anteil daran schultern muss, steht außer Frage. Das ist auch bei Schröders AGENDA 2010 der Fall gewesen, die ja bekanntlich ein mutiger und vor allem sehr stark kritisierter Schritt war, der dem damaligen Bundeskanzler letztlich das Amt gekostet hat, aber dafür das Land wieder in die richtige Richtung brachte.

„Der Herbst der Reformen“ als neue „AGENDA 2010“?

Es geht nicht um den Namen, sondern um die Inhalte. Angesichts der Erwartungen, die die Bundesregierung geweckt hat, erwartet man aber schon einen großen Wurf. Warten wir es ab.

Jetzt haben wir viel über Berlin gesprochen. Für eine sächsische Handwerkskammer geht der Blick doch stärker eher nach Dresden zur Landespolitik, oder?

Der Blick geht zwar naturgemäß immer zuerst nach Dresden. Aber viel zu sehen ist da beim Blick auf Landtag und Staatsregierung leider nicht.

Warum?

Weil schlicht nichts passiert. Man spürt deutlich, dass der Koalition in Dresden eine Mehrheit im Landtag fehlt. Die Folge: Kaum neue Gesetze oder Initiativen. Dazu immer wieder der Verweis auf die angespannten Finanzen. Dabei sind die Probleme im Freistaat ja nicht kleiner beziehungsweise könnte auch von hier viel Unterstützung für das Handwerk kommen. 

Haben Sie Beispiele?

Die Erhöhung des Meisterbonus, wie im Wahlprogramm der CDU versprochen: Davon hört man nichts mehr. Die Reduzierung des Unterrichtsausfalls an den Schulen: Angeblich ist die Ausfallquote kleiner geworden. Dabei hat man durch Lehrerabordnungen das Problem nur auf noch mehr Schulen verteilt, was die Quote allein schon mathematisch senkt. Dabei fehlen immer noch die Lehrer. Eine Schuldenaufnahmen, wie sie das Grundgesetz jetzt erlaubt: Da gibt’s schon Streit zwischen den Koalitionspartner, ob man das überhaupt machen sollte. Dabei rufen allein die Landkreise sehr laut danach.

Das könnte ich jetzt noch eine ganze Weile weiterführen.

Politisch scheint es eine schwierige Lage zu sein.

Ja, das ist aber in den vergangenen Jahren schon fast zur Gewohnheit geworden. Egal ob Ampel-Regierung im Bund oder Jamaika in Sachsen – da hat stets Mut, Wille und Einigkeit gefehlt, um wirklich einen Prozess für wirtschaftliches Wachstum anzustoßen. Klar, die Rahmenbedingungen waren und sind schwierig. Aber wenn man wirklich will, kann man viel bewegen. Die neue Bundesregierung hatte ja durchaus einen engagierten Start. Aber der Elan ist schnell verpufft. Und so steht das Handwerk weiter in einem Schwebezustand ohne genau zu wissen, ob jetzt wirklich mal was zum besseren wird.

Die Konjunkturumfragen spiegeln das auch gut wider. Aber das betrifft ja nicht nur das Handwerk, sondern die gesamte Wirtschaft.

Gibt’s einen Hoffnungsschimmer?

Den erkenne ich gegenwärtig nicht. Aber ich lasse mich gern eines Besseren belehren. Dass das Handwerk bisher jede Krise überstanden hat, wissen wir. Und dass das Handwerk immer auch nach vorn blickt, ist eine der Eigenschaften, die besonders hervorstechen. Vielleicht muss man sich das stets in Erinnerung rufen und gleichzeitig hoffen, dass wirklich irgendwann der Herbst oder von mir aus auch der Winter, Frühling oder Sommer der Reformen losgeht.

Herzlichen Dank!