Bild vom Verwaltungsgebäude der Handwerkskammer Chemnitz
Schmidtfoto-Chemnitz

"Es wird viel zu viel Klientelpolitik betrieben"

Interview von Kammerpräsident Frank Wagner zu den vergangenen 365 Tagen:

 

Herr Wagner, 2023 ist vorüber. Was haben Sie als besonders positiv in Erinnerung?

Besonders positiv sind natürlich die guten Ausbildungszahlen: Das Niveau von 2019, also vor der Corona-Pandemie, haben wir längst überschritten. Das ist meiner Meinung nach das stärkste Signal, das wir als Handwerk aussenden können: Seht her: Wir wissen, dass wir in Zukunft gebraucht werden und kümmern uns um die dafür notwendigen Fach- und Arbeitskräfte. Getreu dem Motto: Handwerk gab es schon immer und wird es immer geben.

Und jetzt die andere Seite: Was war eher negativ?

Das könnte eine lange Liste werden, gerade mit Blick auf die Bundeshauptstadt und das Handeln der Bundesregierung.

Dann nennen Sie uns doch einfach drei Beispiele.

Heizungsgesetz. Industriestrompreis. Bundeshaushalt.

Warum gerade diese Themen?

Das kann man ganz allgemein zusammenfassen: Wir erleben eine Bundesregierung, die ihren Koalitionsvertrag mit „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ überschrieben hat. Aber nichts von der Überschrift passt. Beim Heizungsgesetz fehlt die Freiheit, wenn vorgeschrieben wird, welche Heizarten zukünftig noch in Frage kommen. Beim Industriestrompreis fehlt es an Gerechtigkeit, wenn die Großverbraucher besonders entlastet werden, obwohl alle anderen auch unter hohen Strompreisen leiden. Und beim Bundeshaushalt fehlen sowohl Fortschritt als auch Nachhaltigkeit, wenn auf der einen Seite konsequent gespart werden soll und auf der anderen Seite viel Geld für Dinge ausgegeben wird, die wir gar nicht brauchen beziehungsweise bei denen bisherige und bewehrte Verfahren zielführender waren.

Das ist kein gutes Zeugnis für die Bundesregierung…

Nein, denn das, was wir in Berlin in diesem Jahr erlebt haben, schadet dem Wirtschaftsstandort Deutschland und somit auch uns Handwerkern. Klar, die Bundesregierung kommt von einer Krise in die nächste. Vieles davon ist unverschuldet und man hat durchaus gut reagiert. Ich denke da nur an die Gas- und Strompreisbremsen und das Verhindern einer Gasmangellage. Das war ein Kraftakt, den man loben muss.

Aber andererseits wird viel zu viel Klientelpolitik betrieben. Oder aber es folgen große Ankündigungen und die Umsetzung scheitert oder ist so stümperhaft, dass man es auch hätte gleich lassen können.

Wo adressieren Sie solche Kritik?

Unsere Vollversammlung hat im Juni eine Resolution verabschiedet und vier Forderungen aufgestellt, was für den Rest der Legislaturperiode zu tun ist. Das Papier haben wir allen Bundestagsabgeordneten im Kammerbezirk, den Fraktionsvorsitzenden der Regierungsfraktionen im Bundestag und auch Kanzler sowie Wirtschafts- und Finanzminister zukommen lassen. Entweder wir haben gar keine Antwort erhalten oder diese war so inhaltsleer, dass man es hätte auch gleich lassen können. So kann eben auch Wertschätzung für gut gemeinte Hinweise, die konstruktiv formuliert waren, aussehen.

Haben Sie etwas anderes erwartet?

Natürlich ist auch mir bewusst, dass die Chemnitzer Handwerkskammer nicht der Nabel der Welt ist und das politische Berlin auf deren Hinweise hören müsste. Aber die Kritik kommt ja nicht nur von uns. Auch andere Bereiche der Wirtschaft – Industrie, Handel, Gastronomie – kritisieren. Aber es wird schlicht ignoriert.

Und die Krisen werden auch nicht weniger…

Unabhängig vom aktuellen weltpolitischen Geschehen: Wir kämpfen ja auch immer noch mit den Folgen der Ereignisse der Vorjahre. Gerade die zeitweise hohen Energiepreise, Materialengpässe und Inflation sind Folgen vorheriger Krisen, die eigentlich vollkommen ausreichen. Mess- und sichtbar ist das vor allem beim Bau…

…der eigentlich immer Konjunkturmotor war, selbst während der Corona-Pandemie.

Ja, dieser Motor stottert erheblich. Wenn wir bei dem Bild bleiben: Es sind zwar nicht alle Bauteile betroffen. Tiefbau, Dachdecker oder der SHK-Bereich sind gut ausgelastet. Aber im Hochbau stehen wir kurz vor dem Getriebeschaden. Und dieser ist bekanntlich nur mit großem Aufwand zu reparieren.

Woran liegt das?

Es fehlt schlicht die Nachfrage. Gerade im Wohnungsbau. Eigenheime sind bedingt durch die Zinssteigerungen und extrem gestiegene Lebenshaltungskosten kaum noch finanzierbar. Und die Bundesregierung hält zwar einen Wohnungsbaugipfel ab, dessen Beschlüsse durchaus in die richtige Richtung gehen. Bei der Umsetzung lässt man sich aber wieder viel Zeit, die die Betriebe leider nicht haben.

Angenommen, die Beschlüsse kommen zeitnah: Hilft das dem Bau?

Mehr schlecht als recht. Immerhin passiert etwas. Eigentlich bräuchte es ein richtiges Konjunkturprogramm wie nach der Finanzkrise 2008. Aber mit dem Bundesfinanzminister und der Haushaltspolitik der Bundesregierung sehe ich das nicht – zumal die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse auch in großen Teilen der Opposition hochgehalten wird, obwohl sie in einer solchen konjunkturellen Schieflage die notwendigen Investitionen in die Zukunft verhindert.

Jetzt haben Sie ganz viel über die Bundesregierung geschimpft. Wie ist denn die politische Lage in Sachsen?

Anders als im Bund. Das ist sicherlich der Tatsache geschuldet, dass im kommenden September ein neuer Landtag gewählt wird und jede Partei schon den Blick dahin richtet, manches noch anpacken will und vieles auch liegen lässt. Grundsätzlich kann man aber schon mit Blick auf 2023 sagen, dass was für das Handwerk gemacht wurde: Der Meisterbonus wurde erhöht. Die Betriebe können weiterhin von wichtigen Förderprogrammen profitieren. Und man stellt auch weiterhin ausreichende Mittel für die ÜLU zur Verfügung. Damit können wir sehr zufrieden sein.

Aber?

Ja, ein „Aber“ muss hier kommen, das ich an zwei Beispielen festmachen möchte: Die Handwerkskammern hatten gegenüber der Staatsregierung angeregt, eine Prämie für Schüler zu zahlen, die ein Ferienpraktikum im Handwerk machen. Das ist keine neue Idee. In Sachsen-Anhalt gibt’s das schon und das dortige Wirtschaftsministerium spricht von einer Erfolgsgeschichte. 120 Euro pro Woche für Schüler ab 15 Jahren, wenn diese in den Schulferien ein Praktikum in einem ausbildungsberechtigten Handwerksbetrieb machen. Niedersachsen will nachziehen. Auch in NRW gibt es Bestrebungen, das einzuführen. Und in Sachsen? Der Wirtschaftsminister erklärt sich für nicht zuständig. Der Kultusminister sieht eine Bevorzugung für das Handwerk. Und der Ministerpräsident meint, dass es dann auch genug Betriebe braucht, die einen Praktikumsplatz anbieten. Die gibt es aber doch zur Genüge.

Braucht es wirklich so eine Prämie, um junge Menschen ins Handwerk zubringen? Sie sprachen ja eben von den tollen Ausbildungszahlen.

Die Zahlen sind auf den ersten Blick wirklich positiv, worüber ich mich auch freue. Aber es gibt zu viele unbesetzte Ausbildungsplätze in den Handwerksbetrieben. Und es gibt immer noch die Denke in der Gesellschaft, dass man zwingend studieren muss, um im Leben erfolgreich zu sein. Das geht bei uns im Handwerk aber genauso. Deshalb wollen wir ja schon in den Schulen noch stärker für die duale Berufsausbildung werben.

Und das andere Beispiel?

Das sächsische Vergabegesetz.

Das es schon gibt?

Richtig. Doch das Wirtschaftsministerium will eine Novellierung. Und das ist der Knackpunkt. Es gibt Punkte im Entwurf, da können wir als Handwerkskammern einfach nicht zustimmen. Wozu braucht es zum Beispiel einen Vergabemindestlohn, wenn es doch ohnehin einen Mindestlohn und allgemein verbindliche Rahmentarifverträge gibt?

Sagen Sie es mir?

Es braucht keinen zusätzlichen Vergabemindestlohn. Dieser würde nur die Tarifautonomie auf die Probe stellen. Es ist aber auch nicht schlimm, wenn kein neues Gesetz kommt. Denn zum einem gibt es in Sachsen ein geltendes Vergabegesetz. Hinzu kommt, dass viele Punkte, die mit dem neuen Gesetz Vergabe-relevant geworden wären, auch heute schon Berücksichtigung finden können. Und was entscheidend ist – gerade auch mit Blick auf den Bau: Mehr Aufträge an den Bau würde es mit dem neuen Gesetz nicht geben. Wozu also das Ganze?

Wagen Sie in diesem Jahr einen Ausblick auf 2024?

Nein, das kann ich nicht. Aber ich habe Wünsche für das kommende Jahr.

Legen Sie los!

Zum einen wünsche ich mir eine hohe Wahlbeteiligung bei den Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen, die im Juni und September stattfinden. Wahlen sind das höchste Gut in unserer Demokratie und diese Chance, mit einem einzigen Kreuz die Zukunft mitzubestimmen, sollten so viele Menschen wie möglich nutzen. Sachsen ist unter den ostdeutschen Bundesländern wohl den erfolgreichsten Weg seit 1990 gegangen. Es sollte daher weiterhin eine stabile Regierungsmehrheit geben, die diesen Weg fortsetzt.

Zum anderen wünsche ich mir, dass die Bundespolitik endlich auch einmal zuhört und Hinweise oder Bedenken ernst nimmt. Das passiert an der einen oder anderen Stelle schon heute. Aber bei den großen Themen wird weiterhin strikt nur das eigene Programm verfolgt, egal wie unpraktisch oder benachteiligend das auch sein mag. Genau das kann sich Deutschland als größte Volkswirtschaft in Europa aber nicht leisten.

Dann wünsche ich mir noch, dass die duale Berufsausbildung im Vergleich zur akademischen Ausbildung die Wertschätzung bekommt, die sie eigentlich auch verdient hat.

Und zum Abschluss wünsche ich mir, dass unser Handwerk weiterhin im Bewusstsein agiert, gebraucht zu werden, so wie die vergangenen Jahrhunderte auch schon. Ohne das Handwerk wird es keinen klimaneutralen Umbau von Gesellschaft und Wirtschaft geben. Ohne das Handwerk wird es keine neuen Häuser und Straßen geben. Das alles kann künstliche Intelligenz eben dann doch nicht – zum Glück.

Herr Wagner, herzlichen Dank für dieses Gespräch.

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