Bild vom Verwaltungsgebäude der Handwerkskammer Chemnitz
© Schmidtfoto-Chemnitz

"Wir hangeln uns seit 2020 von einer Krise zur nächsten"

Handwerkskammerpräsident Frank Wagner spricht in einem Interview über die aktuelle Lage für das Handwerk und blickt zurück auf die erste Hälfte des Jahres 2025:

 

Herr Wagner, dass die wirtschaftliche Lage seit Monaten, wenn nicht sogar Jahren, schwierig ist, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Haben Sie eine solche Phase in Ihrer Zeit als Präsident der Handwerkskammer Chemnitz schon einmal erlebt?

Ich bin seit 2016 Präsident, war zuvor schon Vizepräsident und damit auch in der Vollversammlung. Dass wir nun schon seit mehreren Jahren nicht aus dem Tal herauskommen, in dem die deutsche Wirtschaft steckt, ist schon erstaunlich und vor allem erschreckend. Klar, ich habe es auch schon in vorherigen Gesprächen deutlich gemacht: Wir hangeln uns seit 2020 von einer Krise zur nächsten. Und wenn dann doch mal eine beendet ist oder man sich auf die Folgen ein Stück weit eingestellt hat, kommt die nächste. Vielleicht waren wir auch ein Stück weit verwöhnt von der konjunkturellen Entwicklung in Deutschland in den 2010er Jahren.

Aber der nostalgische Blick zurück hilft in der aktuellen Lage auch nicht weiter.

Richtig. Und dazu kommt noch, dass man auch wenig aus den 10er-Jahren ableiten kann. Dafür ist die Situation zu angespannt und die Ursachen sich gänzlich neu: Es gab damals keinen großen Krieg auf europäischem Boden, durch den die Energiepreise exorbitant gestiegen und durch den Lieferketten abgerissen sind. Es gab auch keine Pandemie, die alles bisher Bekannte auf den Kopf gestellt hat. Und es gab auch keine US-Regierung, die den Welthandel vollkommen umkrempelt. Da brauchte und braucht es neue Wege, um aus der Krise herauszukommen.

Und sehen Sie diese Wege?

Bei Corona waren viele Maßnahmen hart und haben Existenzen gefährdet und sicherlich auch vernichtet. Dennoch sind wir irgendwie durchgekommen. Beim Ukraine-Krieg und dessen Folgen für Energiepreise und Lieferketten ist es nicht anders. Um beim Welthandel wird es – hoffentlich – auch eine Lösung geben.

Aber warum haben wir dann trotzdem die Krise und sämtliche Konjunkturumfragen geben einen eher pessimistischen Blick?

Aus den Blick geraten sind die grundlegenden, strukturellen Probleme des Wirtschaftsstandortes Deutschland: Bürokratie, Demografie, Fach- und Arbeitskräftemangel, Lohnnebenkosten, Steuerlast, veraltete Infrastruktur und so weiter. Und das führt dann eben zu den Einschätzungen seitens der Betriebe, die wir jetzt zum Beispiel in den Ergebnissen der Konjunkturumfragen wiederfinden.

Braucht es eine neue „Agenda 2010“, wie sie 2005 durch Bundeskanzler Schröder in die Wege geleitet wurde?

Vom Prinzip her schon. Wichtig ist vor allem Mut bei jenen, die eine solche Agenda in die Wege leiten.

Was meinen Sie mit „Mut“?

Die Erfahrungen der letzten Jahre haben uns gezeigt, dass vieles nur halbherzig angegangen wurde. Es gab etliche Bürokratieentlastungsgesetze der Ampel. Wirklich entlastet hat keines, weil eben der Mut zu wirklichen nachhaltigen und vielleicht auch manchmal unpopulären Schritten gefehlt hat. Mit dem Onlinezugangsgesetz sollte die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung endlich einen großen Schritt nach vorn machen. Aber hier hat man sich in Strukturen verheddert und nicht wirklich etwas vorangebracht. Noch ein Beispiel aus Sachsen: Es gibt einen 2023 unterzeichneten Pakt für Fachkräftezuwanderung. Zwei Jahre später ist noch nicht wirklich etwas davon spürbar.

Und bei den Punkten, die ich eben unter den strukturellen Schwächen aufgezählt habe, braucht es viel Mut und Durchsetzungsvermögen, um dafür eine Mehrheit zu bekommen.

Es braucht auch Geld, oder?

Keine Frage. Die Sozialversicherungssysteme sind mit Abstand die größten Posten im Bundeshaushalt. Wenn es dort zu Reformen kommt, wird das auch eine finanzielle Herausforderung. Aber ohne wird es nicht gehen.

Es ist doch immerhin schon mal ein Fingerzeig, dass jetzt hunderte Milliarden in die Infrastruktur fließen sollen. Es ist auch ein Fingerzeig, dass die neue Bundesregierung erste steuerliche Entlastungen für Unternehmen und Abschreibungen auf den Weg gebracht hat.

Und das alles trotz angespannter Kassenlage.

Die Lage ist tatsächlich angespannt. Wichtig wäre aber vor allem, dass endlich mal ein Haushaltsplan beschlossen wird. Im Bund scheint sich das bis in den Herbst zu verschieben. Die Gelder werden benötigt: Für Förderprogramme, berufliche Bildung oder eben bei jenen Investitionen, die nicht unter das neue Sondervermögen für Infrastruktur fallen.

In Sachsen hat man zwar einen beschlossenen Haushalt. Aber besser wird es dadurch auch nicht, denn gespart und gestrichen wird auch hier überall. Hinzu kommt: Eine Minderheitsregierung muss sich bekanntlich ihre Mehrheiten bei der Opposition zusammensuchen – sowohl beim Haushalt als auch bei Gesetzentwürfen.

Immer noch nicht ausgeräumt sind die gegensätzlichen Positionen, wenn es um das Thema Neuverschuldung geht, wo Sie gemeinsam mit den Landräten im Kammerbezirk klare Forderungen aufgestellt haben.

Wenn uns die Landräte beschreiben, dass sie eigentlich kein Geld mehr haben, um zu investieren, dann gibt das schon zu denken. Ich kann mich daher den Forderungen der kommunalen Ebene nur anschließen, die Möglichkeit zur Neuverschuldung durch den Freistaat zu nutzen und die damit entstehenden Mittel den Landkreisen einmalig zur Verfügung zu stellen.

Wir halten fest: Das Handwerk steckt in einer Krise. Die strukturellen Reformen müssen kommen. Die Kassen sind leer.

Nicht das Handwerk steckt in einer Krise, sondern die gesamte Wirtschaft in unserem Land.

Gibt’s denn nichts Positives?

Der Blick auf unsere Ausbildungszahlen stimmt immer positiv. Hier ist stets ein Plus beziehungsweise mindestens das Halten des bestehenden Niveaus zu erkennen. Ein positiveres Signal der Betriebe kann es nicht geben.

Mehr nicht?

Naja, wenn ich unsere Konjunkturumfrageergebnisse aus dem Frühjahr anschaue, muss man schon genau suchen. Am ehesten könnte man noch als Zeichen werten, dass die Erwartungen für das laufende Geschäftsjahr besser sind als im Vorjahreszeitraum. Wie die Lage aktuell ist, fragen wir gerade ab und stellen die Ergebnisse im Herbst vor. Eine Prognose wage ich aber.

Das sind aber nur kleine Details als Lichtblick.

Ja, aber es sind eben Details – teilweise auch nur bei einzelnen Gewerken – die zeigen, dass nicht alles schlechter wird. Unabhängig aktueller Umfragen müssen wir ja auch stets eines festhalten: Das Handwerk stemmt sich gegen jede Krise und hat in der Vergangenheit bewiesen, dass es stets weiter geht. Man hat sich angepasst und deutlich gemacht: Ohne das Handwerk ist vieles nicht möglich. Das wird auch in Zukunft, trotz beispielsweiser fortschreitender Digitalisierung, so sein.